Schleichender Wandel
In Lehrbüchern wird der Zins etwa wie folgt definiert: Der Zins ist das Entgelt, welches der Schuldner dem Gläubiger für die vorübergehende Überlassung von Geld zahlt. Wer kein Geld hat, um sich eine aktuelle Konsumausgabe bzw. Investition zu leisten, der kann sich bei einem Geldgeber Geld leihen. Der Geldgeber verlangt für die Überlassung eine Kompensation, da er während der Überlassung des Geldes keine eigenen Investitionen damit tätigen kann, und das Risiko besteht, dass der Geldleiher später das Geld nicht wieder zurückzahlen kann. Der Zins ist somit auch eine Art Gradmesser für den Wert des Geldes bzw. das Risiko einer Investition: Konkurrieren viele verschiedene Investitionen um wenig Geld, so wird der Zins steigen – trifft viel Geld auf nur wenige Investitionen, so wird der Zins fallen. Bei Investitonen mit einer hohen Ausfallwahrscheinlichkeit wird der Zins steigen, bei sicheren Investitonen wird der Zins fallen. Auf diesem System beruht ein Großteil der gesamten Wirtschaft.
Das System befindet sich jedoch seit den Krisen ab 2007 (Subprime-Krise, Euro-Krise, …) in einem schleichenden Wandel. Gläubiger der Bundesrepublik Deutschland nehmen mittlerweile in Kauf, dass sie am Ende weniger Geld zurück erhalten als überlassen wurde. Aktuell gelingt es sogar Unternehmen, wie der Konsumgüterhersteller Henkel zeigt, Anleihen mit einer negativen Rendite zu platzieren. Selbst Banken beginnen damit, ihren Sparern für die Überlassung von Geld nicht Zinsen gutzuschreiben, sondern Gebühren abzuziehen. Ist das der Übergang zu einer neuen, besseren Welt? Oder braut sich hier die nächste Krise, die Mutter aller Krisen, zusammen?
Als Gradmesser für das Risiko scheint der Zins/die Rendite inzwischen zu versagen. Auf dem Konto und in relativ sicheren Anleihen wird dem Geld kein Wert mehr beigemessen. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken rund um den Globus hebelt dieses „Naturgesetz” einfach aus, indem große Geldmengen praktisch umsonst zur Verfügung gestellt werden. Auf der Suche nach der letzten Rendite strömen riesige Summen in die Aktien- und Immobilienmärkte: Seit dem Tief Anfang 2009 konnte der deutsche Leitindex DAX seinen Wert fast verdreifachen – die jährliche Wertentwicklung lag im Schnitt bei ca. 14% pro Jahr. Immobilien an für internationale Investoren attraktiven Standorten brachten es in dieser Zeit noch auf Wertsteigerungen von ca. 5% pro Jahr.
Anleger befinden sich somit in der Zwickmühle. Investitionen in als sehr sicher eingestufte Anleihen und Tagesgeldkonten werfen keine Rendite mehr ab, im Extremfall drohen sogar schleichende Verluste. Aktien- und Immobilienanlagen scheinen aktuell das Mittel der Wahl zu sein, jedoch sind dorthin bereits große Summen geflossen. Wie lange kann die Entwicklung noch anhalten?
Was wird aus meinen Tagesgeld- und Sparkonten, wenn viele Banken Pleite gehen (kann der Staat/Steuerzahler alle Guthaben garantieren bzw. den Realwert erhalten)? Was wird aus meinen Immobilien, wenn in einer Wirtschaftskrise Notverkäufe die Preise verfallen lassen? Was wird aus meinen Anleihen, wenn hohe Inflationsraten die Auszahlungen real zerstören? Was wird aus meinen Aktien bei einem Börsencrash?
Am Ende kann der beste Ratschlag wieder nur lauten, dass man in unsicheren Zeiten (es gibt nicht die eine Anlage, welche absolute Sicherheit und eine zufriedenstellende Rendite verbindet) sein Vermögen auf viele Anlageklassen verteilt: Tagesgeldkonto, Immobilien, Anleihen, Aktien und – wem dies eine zusätzliche Sicherheit gibt – Edelmetalle.
Auch nach der nächsten Finanzkrise wird es Anleger geben, die etwas besser dastehen und andere, die etwas mehr verloren haben. Aber die Welt wird sich auch danach weiter drehen.